Kalt erwischt

Neulich kam die Frau in Noahs und meinen Kellerraum, ich nenne ihn liebevoll den „room of pain“. Sie hatte sich Sorgen gemacht. Nach oben waren Geräusche gedrungen, die sie befürchten ließen, unten habe sich jemand aus Versehen einen 8er Inbus in die Wade gerammt und stöhne nun vor Schmerz wie eine Schwangere kurz vor der Niederkunft. Es war aber nur Noah, der sein drittes vierminütiges Intervall gefahren war und sich doch etwas über die Maßen angestrengt hatte. Mich lässt so ein völlig ausgepumpter Sohn ja recht kalt, weil ich weiß, dass man sich innerhalb von ein, zwei Minuten stets wieder so weit erholt hat, dass man sich beinahe schämt und sich überhaupt nicht vorstellen kann, dass man noch zwei Minuten zuvor einfach NULL Prozent mehr geben konnte und glaubte, Herz und Lunge und Oberschenkel würden jede Sekunde zerspringen.

Ich glaube, ich hörte auch das Wort „Jugendamt“, wenn auch nur im Scherz. Auch, wenn die Frau enorm stolz auf Noah ist, hat sie doch eine andere Vorstellung von einem harten Training als ich (ja, genau, sie reitet.). Ich hingegen finde hartes Training völlig okay, erst recht, wenn der Lütte das aktiv einfordert und es ihm Spaß macht.
Gestern allerdings hat mich erstmals das schlechte Gewissen mit kalter Faust im Nacken gepackt.
Das war nicht gut, muss ich selbstkritisch sagen. Erkenntnis: Wir brauchen besseres Material.

Zum Rennen in Neumünster hatte ich zwar brav am Vortag alles gepackt, Noahs Rad vom letzten Schlamm aus Bad Doberan befreit, die Schaltung justiert, die Kette geölt und was man sonst so macht. Hatte am Abend das Auto beladen und Noahs und meine Klamotten rausgelegt, es sollte ja früh am Morgen losgehen. Hatte also fast alles exzellent vorbereitet. Trotzdem gelang es Noah, mit dünnen, unterknöchelkurzen Sommersocken und der falschen Radhose (der ohne Träger) ins Auto zu steigen. Damit gings los, direkt ins Schneetreiben. Das Unglück nahm seinen Lauf, als wir entschieden, auf das Warmfahren auf der Rolle zu verzichten. Der Parkplatz war uns einfach zu weit weg von der Rennstrecke. Nun kann man sich ja auf der Rolle vortrefflich dampfend warm fahren. Fährt man sich bei Schneefall und null Grad auf der Strecke ein, pfeift der Wind, und die Extremitäten sterben über kurz oder lang ab. Bei mir immer über kurz. Noah ist härter im Nehmen, aber ich merkte, wie er in den Minuten vor dem Start zunehmend litt. Die Füße: Eisklumpen. Der Oberkörper: bekam durch die fehlende Trägerhose und flatternde Unterbekleidung eine Extraportion Wind ab. Die Hände: durch seine ollen Handschuhe miserabel geschützt. Gut, und dann riet ich ihm auch noch, die Thermohose auszuziehen und nur in Beinlingen zu fahren. Schlotternd ging der Junge an den Start – und nach 20 Rennminuten konnte ich ihn in einem desolaten Zustand wieder in Empfang nehmen. Der Kleine war völlig aufgelöst und jaulte vor Schmerz – seine Extremitäten waren quasi abgestorben. Ich hatte während des Rennens verwundert zur Kenntnis genommen, dass er recht dicke Gänge gefahren war – und musste nun lernen: Er hatte mit seinen erstarrten, schmerzenden Händen weder schalten, noch bremsen können. Mit letzter Kraft konnte er noch die paar hundert Meter durch den Wald zum Parkplatz überwinden. Im Auto haute ich alles raus, was Heizung und  Sitzheizung hergaben – und in Kaltenkirchen hatte ich ihn immerhin wieder so weit, dass ich davon ausgehen konnte: Er kommt durch. Es war wirklich schlimm, ganz ohne Witz.

Ab sofort gibt’s: Heizpads in Schuhen und Handschuhen (habe direkt 30 Paar bestellt), institutionalisierte Sockenkontrolle, neue Handschuhe (welche? Tipps willkommen!) und um jeden Preis ein Einfahrprogramm auf der Rolle. Unsere Faulheit und unsere Vorbereitungsfehler haben Noah (der trotzdem heldenhaft kämpfte) nur den 6. Platz beschert (wenn ich richtig mitgezählt habe). Das war nicht so dolle. Ist aber jetzt schon abgehakt. Ab sofort komme ich meinen väterlichen Pflichten besser nach, versprochen.

Ach so, ich selber bin gar nicht angetreten. Ihr wisst, das linke Bein.

Und hier noch ein kleiner Blick in den „room of pain“.

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