Ich bin ein Riesen-Fan der elektronischen Leistungsmessung am Fahrrad. Zu meinem 40. Geburtstag hatte ich alle Sparschweine im Haus zertrümmert und mir heimlich eine Powertap G3-Nabe gekauft, das war meine Einstiegsdroge und ist jetzt vier Jahre her. Schon nach einem Jahr war ich ein anderer Fahrer. Zuvor hatte ich natürlich die Wattmess-Bibel „Wattmessung im Radsport und Triathlon“ von Allen/Coggan gewissenhaft durchgearbeitet und mein Training umgestellt (auch mit Hilfe von Heiko Lehmann): Keine Junk-Miles mehr (super, wenn man ohnehin wenig Zeit hat), stattdessen langsame, lange Einheiten und sehr, sehr harte kurze Einheiten, dazu mittellange EBs. Im Winter dazu hochintensive Einheiten auf der Rolle. Der Leistungszuwachs war enorm, mein Ehrgeiz auch.
Nach einem Jahr gelang mir auf der 150-Kilometer-Strecke der Cyclassics ein Platz in der Spitzengruppe (33. oder 34.), der sogar noch besser hätte sein können, wenn ich auf der Zielgeraden nicht hätte hart bremsen müssen, um einem vor mir gestürzten Fahrer und seinem umherfliegenden Vorderrad auszuweichen. Es lief. Im selben Jahr schaffte ich beim Lizenzrennen in Fiefbergen einen tollen 4. (oder 5.? Ich weiß es nicht mehr genau) Platz – das war das Jahr, in dem ich immer das Gefühl hatte, noch ein paar Extra-PS aus dem Hut zaubern zu können, wenn vorne jemand attackierte.
Irgendwann hatte ich das Bedürfnis, auch mal andere Laufräder zu fahren und kaufte zusätzlich eine Stages-Messkurbel, die war damals neu, günstig und revolutionär leicht (plus 20 Gramm, etwa). Das war ungefähr zu der Zeit, als ich wegen einer starken Bauchentzündung ein Antibiotikum genommen habe, unter dessen Nebenwirkungen nach einem schlimmen Zusammenbruch ich heute noch leide (Mein Tipp: Finger weg von Ciprofloxacin, hier ein WDR-Beitrag dazu) Ich will nicht klagen, und der Arzt hatte auch gesagt, dass es Probleme geben könnte, es war halt Pech – aber es ist auffällig, dass ich seitdem nicht mehr der Alte bin und sehr viele andere Menschen nach Einnahme des Zeugs ebenfalls jahrelang ähnliche Probleme haben wie ich (oder noch viel, viel schlimmer dran sind), meist mit den Sehnen, aber auch mit den Muskeln. Das von Vielen geschilderte Hautbrennen ist übrigens seitdem mein treuer Begleiter.
Bei mir führten diese Probleme unter anderem zu einem unschönen Mail-Verkehr mit dem Verkäufer der Stages-Kurbel. Nochmal sorry dafür an die Jungs von Powermeter24. Es war nämlich so, dass ich zum Beispiel beim Zeitfahren mit 300 Watt losgefahren bin, meine Leistungswerte innerhalb der ersten drei, vier Kilometer aber auf 220 Watt sanken und sich dann einpendelten. So ein Fading der Werte konnte ja nur an der Kurbel liegen! Ich habe das Ding also drei Mal eingeschickt und stets mit der Bemerkung zurück erhalten, alles sei in Ordnung. Ich verzweifelte über dieses Kurbeldings (Stages misst ja nur links und errechnet dann einen Mittelwert für das linke und das rechte Bein) und schlich wieder zum Sparschwein, um erneut heimlich eine Rotor-Leistungsmessung zu kaufen, die auch die Links-Rechts-Verteilung misst. Diese Rotor-Kurbel fahre ich bis heute – ein wunderbares Stück Technik. Ich bin ja eh ein großer Fan der Marke und habe auch an Noahs Räder Rotor-Kurbeln geschraubt. Die neue Kurbel verriet mir dann, was ich bereits ahnte: Unter Belastung ist bei mir die Kraftverteilung links/rechts etwa 35/65 Prozent.
Seitdem arbeite ich daran, das zu ändern.
Ich habe in diesem Winter so viel und so hart trainiert wie noch nie. Vier bis fünfmal in der Woche, hochintensive Einheiten, EBs, KBs mit Schwerpunkt links, dazu wochenends GA1-Ausfahrten mit Noah (gut, da waren 60 Kilometer vielleicht etwas wenig, das Einzige, was ich mir vorwerfen darf). Ich habe Netflix UND Amazon Prime quasi leer geguckt, während ich im Keller auf der Rolle mein 80er-Jahre Adidas-Stirnband vollgeschwitzt habe und Blutgeschmack im Mund hatte. Sollte jemand mal bei „Wer wird Millionär?“ sitzen und einen Telefonjoker zum Thema US-Serien brauchen: gerne! Ich habe sie ALLE geguckt.
Seit vier Jahren habe ich auch ein paar Referenzstrecken, die ich sehr genau dokumentiert habe. Im Frühjahr ist das zum Beispiel die lange Rampe hoch zum ersten Parkplatz am Cap Formentor. Oder: die Kösterbergrunde, etwas über acht Kilometer, die ich voll fahre, bergauf wie bergab. Auf all diesen Strecken hatte ich vom vorletzten Jahr aufs letzte Jahr etwa 20 bis 25 Watt verloren – die Leistungsmessung deckt so etwas ja unerbittlich auf und schaltet Einflüsse von Wind und Wetter aus. Statt etwa 320 Watt, die ich zuvor eine Viertelstunde lang treten konnte, schaffte ich im vergangenen Jahr gerade mal 300 Watt. Dieser Leistungsabfall passte mir natürlich überhaupt nicht, daher die enorme Trainingsanstrengung in diesem Winter.
Belohnt wurde ich indes nicht. Ich habe erneut Kraft verloren und schaffe inzwischen nur noch etwa 278 Watt.
Ich habe den Winter über einen Orthopäden aufgesucht, mich chiropraktisch hinknacksen lassen, gehe zu einem tollen Therapeuten, der mein linkes Bein mit Akupunktur und Übungen auf einem Airex Balance Pad, das ich mir gekauft habe, wieder reanimieren will, habe den supertollen Power-Quark von Dr. Feil ins Familienleben eingeführt – aber ich komme auf keinen grünen Zweig.
Jetzt bin ich müde und frustriert.
Es bringt alles nichts.
Ich habe mich am Wochenende bei der Tour de Kärnten abgemeldet, weil ich zu stolz bin, um dort hinterherzufahren.
Ich werde auch meine Lizenz zurückgeben. Gleich nach den EZF-Nordmeisterschaften, zu denen ich fahrlässigerweise noch gemeldet habe.
Ich bin einfach nicht mehr wettbewerbsfähig, das muss ich jetzt erkennen.
Ich werde meine Radsport-Karriere jetzt mit weniger Ehrgeiz fortsetzen, gemeinsam mit Noah trainieren und versuchen, mich so selten wie möglich von ihm abhängen zu lassen. Aber im Lizenzsport habe ich nichts mehr verloren. Vielleicht werde ich dann und wann mal ein Hobbyrennen mitfahren, nur um mal wieder das Herzklopfen vorm Start zu spüren. Ich bin natürlich traurig über diese Entwicklung, aber ich bin gleichzeitig so leer und entmutigt, dass ich keine Lust mehr habe, weiter zu kämpfen. Ich hoffe denke, Radsport kann auch Spaß machen, ohne dass man sich permanent mit anderen misst. Jedenfalls werde ich den Rest des Jahres unter dieser Prämisse bestreiten.
Noch ein Wort zu Eisenwade: Auch der Kerl leidet immer noch unter einer mysteriösen Schwäche. Zwar hat er nach seinem Virusinfekt seit gut einer Woche keine Krankheitssymptome mehr, fühlt sich aber immer noch ein wenig schlapp und hat, wie wir heute morgen festgestellt haben, einen erhöhten Ruhepuls. Irgendwas ist da noch nicht wieder in Ordnung. Nach dem Bahn-Debakel vom Mittwoch hat er gestern an seinem schulfreien Tag (es war Boys-Day, seine Interpretation dessen lautete: Minecraft, Donald Duck und Rollentraining) noch vor dem Konfi-Unterricht ein paar dreiminütige Intervalle fahren wollen, aber noch nicht mal 150 Watt (ja, er fährt meine alte Powertap) geschafft. Nun müssen wir mal schauen, wie es morgen aussieht und dann entscheiden, ob es überhaupt sinnvoll ist, am Sonntag zum Rennen nach Hannover zu fahren.
Ich hoffe, 2016 hält auch noch ein paar schöne Überraschungen parat.