Saisonfinale in Buchholz

Einmal im Jahr haben die Frau und ich die naive Hoffnung, die Welt zum Besseren verändern zu können: am Neujahrsmorgen. Wir machen dann, wenn alle wach und satt sind, immer einen ausgiebigen Spaziergang zu viert und reden über das alte und das neue Jahr. Für letzteres haben wir dann für jedes Kind ein, zwei Dinge parat, die es sich doch bitteschön in den kommenden zwölf Monaten zu Herzen nehmen möge. Das sind so Sachen wie „Klamotten nicht immer da fallen lassen, wo man sie auszieht“ oder „Zimmer wenigstens ab und zu aufräumen“. Traurigerweise Jahr für Jahr sehr ähnliche Dinge. McKinsey-Leute würden „Zielvereinbarungen“ dazu sagen. In diesem Jahr haben sich die Kinder allerdings gerächt und im Rahmen der Gleichberechtigung auch dem Alten eine Aufgabe reingehauen: in 2016 mindestens zehn Rennen fahren und dabei auch ins Ziel kommen keine Ahnung, was der Ziel-Zusatz soll. Die sechs Tour-de-Kärnten-Etappen zählen übrigens nur für zwei Rennen. Schweinebande!

Warum ich das erzähle? Vor dem Hintergrund meines desolaten linken Beins (das auch der Chiropraktiker in bislang vier Sitzungen nicht gängig bekommen hat) hatte ich insgeheim gehofft, das Stevens Cup Finale in Buchholz schwänzen zu dürfen. Aber Noah und die Tochter waren am Vorabend unerbittlich gewesen. Also gut, so ging es also um die erste Kerbe im Colt in 2016. Und ich hatte ja auch gut trainiert. Vier bis fünf mal pro Woche schaffe ich aktuell. Am Vortag hatte ich Noah noch zum Verbands-Trainingslager in Lüneburg begleitet und war 80 km Grundlage gefahren, alles größtenteils einbeinig, aber die Form steigt trotzdem leicht.

Der Renntag fing dann jedoch etwas holprig an. Erst am Abend zuvor hatte ich beim Packen bemerkt (wieso muss eigentlich ICH immer alles packen?), dass an einem unserer Hinterräder, leider an dem mit dem besten Reifen drauf, eine Speiche gerissen war und das Ding eine unfahrbare Acht hatte kurzer Witz am Rande, ich mag den: Was sagt die Null zur Acht? „Toller Gürtel!“. Also traten wir heute morgen mit zwei Rahmen und insgesamt nur drei Laufrädern an, was ein gemeinsames Warmfahren unmöglich machte.

Die Strecke: Sollte Noah liegen, fanden wir. Kaum Wurzeln, nicht zu hohe Hürden und eine paar tolle Anstiege, genau so, wie er es mag. Sogar den Start bekam er dieses Mal halbwegs passabel hin. Ich stellte mich also an den Hang, um ihn im Steilstück anzufeuern – bloß kam der Bengel nicht. Schweißausbruch beim Alten. Ein Fahrer nach dem anderen quälte sich den Hügel hoch – bis endlich, endlich irgendwann Noah kam, aufgelöst und sich die Knie haltend. Er war gleich vor der ersten Sandpassage zu Fall gekommen und hatte mit beiden Knien gebremst. Ich hätt’ ihn natürlich am liebsten in den Arm und aus dem Rennen genommen, entschied mich dann aber für ein aufmunterndes „Hingefallen? Nicht so schlimm, hau rein, und fahr halt etwas schneller ab jetzt“.
Er kämpfte sich dann auch wieder etwas nach vorne – aber in einer der nächsten Runden war er wieder von der Bildfläche verschwunden – und nun machte ich mir richtig Sorgen. War er an einem abgelegenen Teil der Strecke schlimm gestürzt? War seine Verletzung doch heftiger als gedacht? Später erfuhr ich: Noch drei Mal war ihm die Kette runter gefallen, und zwar über das größte Ritzel hinaus zwischen Speichen und Kassette. Offenbar hatte sich beim Sturz das Schaltwerk leicht verbogen. Maximalpech, bezeichnend für seine Seuchen-Saison. Herzlichen Dank an dieser Stelle an alle, die ihm bei seinen Defekten geholfen haben! War dann im Ergebnis irgendwas unter ferner liefen. Aber die Sanis hinterher waren nett. Erinnerung an mich selbst: Tetanus auffrischen.

Zwei Stunden später war ich dann an der Reihe. Ich mag den Kurs in Buchholz sehr gerne (wenn nicht gerade hoher Schnee liegt, so wie vor ein paar Jahren mal, das war schlimm). Ich war also bester Dinge, trotz Startplatz in der letzten Reihe. Leider lief es dann auch bei mir erstmal so gar nicht. In den ersten drei Runden war mein linkes Bein den Spitzenbelastungen nicht gewachsen. Es tat mal wieder weher als weh. Ich kann diese Art von Schmerz gar nicht beschreiben, aber es sind eindeutig die Muskeln, nicht die Sehnen oder Gelenke. Sehr seltsam. Jedenfalls: In den Tragepassagen im Sand hätte mich Käpt’n Ahab im Duell der Einbeinigen locker überholt, ich humpelte durchs Gelände wie Quasimodo – und irgendwann rief ich Noah, den ich durch das Pipi in den Augen schemenhaft zu erkennen glaubte, zu: „Bin ich Letzter?“. Einer kleinen hilflosen Pause folgte ein gequältes: „Ja!“.
Eieiei.
Aber immerhin hatte ich den vorletzten Fahrer im Blick und meinte, mich ihm zu nähern. Leider verlor ich an jeder Hürde wieder Boden, in der Folge einmal die Kette und legte mich auch noch in den Sand. Es war etwas, nun ja, suboptimal – und trotzdem schaffte ich es irgendwann, wieder Anschluss zu finden und – Tusch! – sogar zu überholen.
Nicht Letzter! Minimalziel erreicht, Dicker, und jetzt kommst du! Bämm!

Lustigerweise waren die Schmerzen links in der letzten Runde dann am erträglichsten. Vielleicht sollte ich demnächst vor dem Rennen noch ein Rennen fahren. Und: Das rechte Bein hat eindeutig Tour-de-France-Niveau, und konditionell fühlte ich mich ausgesprochen gut und fit. Für die Straßensaison hoffe ich, dass mir dann wegen der etwas selteneren Spitzenbelastungen alles etwas leichter fällt. Und irgendwie finde ich Radfahren ohne Hürden und Tragen auch etwas cooler.

Fazit: Wieder so ein Tag mit Pleiten, Pech und Pannen bei Noah und Unvermögen technischen Defiziten einem nicht ganz dem gefühlten Trainingsstand entsprechenden Ergebnis bei mir. Und trotzdem war’s mal wieder klasse. Durchgefahren und jetzt wohlig erschöpft, nette Leute gesehen und gesprochen, und sogar so ein Battle um den vorletzten Platz bringt einfach Spaß – ja, hat sich gelohnt, die ganze Saison. Ganz herzlichen Dank an all die vielen guten Geister und netten Menschen, die die Serie ermöglicht haben (und wahrscheinlich an den Rennwochenenden NOCH früher aufgestanden sind als wir): Ihr wart spitze!

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